Bereits Ende des 18. Jahrhunderts wurde Legasthenie als Schwierigkeiten im Bereich der Lese-Rechtschreibung entdeckt und innerhalb der Medizin erforscht. Heute wird in der Medizin sowie Psychologie vor allem von einer Lese-Rechtschreib-Störung gesprochen, wenn Lese- und Rechtschreibprobleme auf genetische und neurobiologische Ursachen zurückzuführen sind. Dabei ist der aktuelle Forschungsstand, dass die Vererbbarkeit einer Lese-Rechtschreib-Störung bei 50-70% liegt[1]. Außerdem fand ein internationales Forschungsteam 2019 heraus, „dass bei LRS eine Station vor der Großhirnrinde weniger stark entwickelt ist. Personen mit Lese-Rechtschreib-Störung wiesen demnach weniger Faserverbindungen zwischen dem auditorischen Thalamus und dem Planum Temporale auf, einem Areal in der Gehirnrinde, das für das Hören von Sprachlauten zuständig ist.“[2] Somit konnte die moderne Hirnforschung das Vorurteil endgültig beseitigen, Menschen mit Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten bräuchten schlichtweg mehr Übung und mehr Anstrengung.
Die Pädagogik hingegen fasst den Begriff der Lese-Rechtschreib-Störung weiter: Bei betroffenen Personen handelt es sich um langsam Lernende, denen es schwerfällt, die Hürden des Spracherwerbs zu überwinden[3]. Hierbei setzt die Pädagogik nicht an der Person an, sondern betrachtet die allgemeine Sprachentwicklung und den Schriftspracherwerb. Es geht darum zu erfassen, was Kinder schon können und wissen und was sie noch brauchen, um erfolgreich das Lesen und Schreiben zu lernen.
Die Position der Pädagogik und Didaktik schließt die Medizinische nicht aus, lässt aber Umweltfaktoren wie Elternhaus, schulische Situation und psychische Verfassung gleichermaßen als Ursache gelten[4]. Dadurch erweitert sich der Kreis der Betroffenen, aber die Methoden zur Förderung helfen gleichermaßen jedem. Neben unterschiedlichen Auffassungen der Begrifflichkeit unterscheidet sich die pädagogische Position vor allem in der Diagnostik durch den fehlenden Intelligenztest von der medizinischen Position.
Schlussendlich betrachten verschiedene Fachdisziplinen die Lese-Rechtschreib-Störung aus verschiedenen Perspektiven, sodass eine Berücksichtigung aller besonders förderlich für die Diagnostik und den Umgang mit betroffenen Personen ist.
[1] Vgl. Kaufmann, Liane, von Aster, Michael, „Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten“, in: Klinikmanual Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, hrsg. von Michael Kölch et al., Berlin 2020, S. 445
[2] O. A., „Neue Erkenntnisse über Lese-Rechtschreib-Schwäche“, in: Forschung und Lehre: https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/neue-erkenntnisse-ueber-lese-rechtschreib-schwaeche-1557/ [28.02.21]
[3] Vgl. Ley, 2017, o. S.
[4] Vgl. Ley, 2017, o. S.